Narayama

nach einer Erzählung von Shichiro Fukazawa Uraufführung 

In einer poetischen Inszenierung erzählt Narayama die berührende Geschichte der alten O'Rin, die mit 70 Jahren den gesellschaftlichen Regeln des japanischen Bergdorfes folgt und ihren Tod auf dem Berg sucht. Auf einem Brett sitzend wird sie von ihrem Sohn auf den weit entfernten Narayama, den Sitz eines Gottes getragen, um dort zu sterben. Das grösste Glück bedeutet für sie, als es, wie eine Weissagung in einem der Narayama-Lieder lautet, zu schneien beginnt. 

 

 

Die erschreckend einfache Geschichte bewegt sich auf archaischem Boden. Das Schicksal dieser Menschen, ihr Leben und ihr Tod, wird durch ein Thema bestimmt, dem niemand entkommt: Dem Hunger ist jedes Gesetz und jede Moral unterworfen. Das Regelwerk des Zusammenlebens, gewachsen über Generationen, zeichnet sich durch Klarheit und Strenge aus.
Im Mikrokosmos erkennen wir die grossen Fragen und Zweifel der menschlichen Existenz wieder.

 
 

Die Geschichte 
Mit siebzig Jahren treten die Alten eines Bergdorfes traditionellerweise die Wallfahrt zum Berg Narayama an, der als Sitz einer Gottheit verehrt wird. Auch für die Witwe O’Rin ist die Zeit gekommen. Nachdem sich für ihren Sohn endlich eine neue Frau gefunden hat, kann sie weitere Vorbereitungen treffen: Mit einem Feuerstein schlägt sie sich die Zähne aus, denn angesichts des Hungers im Dorf muss sie sich schämen, trotz ihres Alters ein lückenloses Gebiss zu haben. Das letzte Essen in ihrem Leben dient der rituellen Bekanntgabe der Wallfahrtsregeln durch die Wissenden des Dorfes. Dann ist es soweit: Auf einem Brett sitzend wird sie von ihrem Sohn auf den weit entfernten Narayama getragen, um dort zu sterben. Vor einem Felsen breitet O’Rin ihre Matte aus, dann schickt sie ihren Sohn weg. Das grösste Glück bedeutet für sie, als es, wie eine Weissagung in einem der Narayama-Lieder lautet, zu schneien beginnt.

 
 

Das Buch 
Das Buch "Narayama-bushiko -- Schwierigkeiten beim Verständnis der Narayamalieder" von Shichiro Fukazawa sorgte bei seinem Erscheinen 1957 in Japan für eine Sensation. Die Härte und unverblümte Grausamkeit des Werkes empört die einen, während es von anderen wegen seiner tiefen Menschlichkeit, seiner geheimnisvollen Poesie und der musikalischen Komposition gefeiert wird. 1982 wurde die Geschichte als "Die Ballade von Narayama" von Shohei Imamura verfilmt und 1983 mit der Goldenen Palme von Cannes ausgezeichnet. 


Aktualität
In unserer Gesellschaft haben wir das Sterben, den Tod vom Leben abgekoppelt. Als Teil des Lebens existiert er nicht mehr. O Rin geht mit umtriebiger Gelassenheit und Zielstrebigkeit auf ihn zu. Damit ihre Sippe überleben kann in einer kargen Landschaft, um die gesellschaftlichen Regeln des Dorfes zu erfüllen, geht sie. Sie hält fest an ihren Traditionen, an ihrem Glauben, sie lässt sich durch nichts beirren und entschläft unter dem herabfallenden Schnee. 

 


Narayama ist nicht nur ein zeitloses poetisches Meisterwerk, es beleuchtet auch ein Thema von zunehmender gesellschaftlicher Brisanz. Die langfristig problematische Entwicklung der Alterspyramide in unserer Gesellschaft (im vergangenen Jahr zitierte der japanische Sozialminister die Ballade von Narayama im Zusammenhang mit einer anstehenden Rentenreform in Japan) und die damit verbundene Bedrohung des Generationenvertrags stellt unsere Gesellschaft vor grundlegende Fragen. Wird es irgendwann auch bei uns wieder eine Frage der Mittel sein, wie lange man überleben darf? 

Die kurze Geschichte "Schwierigkeiten beim Verständnis der Narayama-Lieder" umfasst in ihrer Kargheit und Poesie die Grundkonflikte der menschlichen Existenz von ihrem materiellem Elend bis zu ihrer philosophischen Dimension. 

Die Themen 
"Narayama" bewegt sich auf archaischem Boden. Das Schicksal dieser Menschen, ihr Leben und ihr Tod, wird durch ein Thema bestimmt, dem niemand entkommt: dem Hunger und der absoluten Armut ist jedes Gesetz und jede Moral unterworfen. Das Regelwerk des Zusammenlebens, gewachsen über Generationen, zeichnet sich durch Klarheit und Strenge aus, und — den Glauben an einen Gott. Die erschreckend einfache Geschichte von Fukazawa führt uns mit unglaublicher Direktheit und verstörender Poesie zu existenziellen Grundgefühlen, die wir alle in uns finden. Sie konfrontiert uns mit Fragen, auf die wir keine Antworten finden und die wir trotzdem zulassen müssen: Wann darf die Gesellschaft über Tod oder Leben eines Einzelnen bestimmen? Wieviel braucht es, damit wir zu Unmenschlichkeit und Brutalität "fähig" werden? Wie stark bestimmt die Ökonomie die Moral? 

Koproduktion: Durrer/Bodinek, Theater Tuchlaube Aarau, Schlachthaus Theater Bern | Regie: Stephan Lichtensteiger | Dramaturgie: Peter Kuntner | Initianten, Produzenten, Spiel: Werner Bodinek, Stina Durrer | Bühnenbild, Erzählerstimme Dodó Deér | Kostüme: Regula Wyss | Musik: Christian Brantschen | Sounddesign: Christian Kuntner | Licht, Technik: Stephan Haller 

Aufführungsrechte beim Rowohlt Theaterverlag, Reinbeck bei Hamburg

Presse: I | II 
 

 

 

Foto: Werner Rolli